Turning to Nature
Ökologie als Antwort auf die Krise des Liberalismus

Zwei Krisen fallen im Augenblick zusammen: die Krise des Liberalismus und die Krise der Ökologie. Sie verstärken sich gegenseitig und werden gleichzeitig exzessiv gegeneinander ausgespielt. Verzagen sollte man hier aber nicht: Die Antwort zur Bewältigung beider Krisen liegt gerade in ihrer gemeinschaftlichen Bearbeitung. Der Liberalismus kann dann das notwendige Instrumentarium für effektiven Klimaschutz bereitstellen, während Klimaschutz zum Inbegriff moderner Freiheit avanciert.

Leonie de Weerth

17.12.2025

Unser Problem ist ein doppeltes Visionsdefizit: Sowohl dem Klimaschutz als auch dem Liberalismus fehlt eine positive Zukunftserzählung. Dieses Vakuum wiegt umso schwerer vor dem Hintergrund, dass die großen Narrative der vergangenen Jahrzehnte – Sozialdemokratie und Konservativismus – ihre historische Bindungskraft weitgehend eingebüßt haben. Das ist keine kleine Gefahr, denn die Auseinandersetzung mit der Zukunft ist, wie Jonathan White und Jan Zielonka deutlich machen, in der Politik zentral.

Der Klimawandel ist eine zentrale Krise unserer Zeit, die existenzielle Folgen mit sich bringt. Die ökologische Krise wird von großen Teilen der Bevölkerung, schon seit den 80er Jahren, als Bedrohung wahrgenommen. Bisher ist es nur der grünen Klimabewegung gelungen, diese Sorgen politisch zu katalysieren. Das führte etwa zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021 zu den Rechten zukünftiger Generationen. Gleichzeitig begegnet uns jedoch Unmut in der Bevölkerung, wenn stärkere Klimaschutzmaßnahmen eingeführt werden: Philipp Staab bezeichnet dies als das „ökopolitische Paradox“. Die Ampel mag unter anderem daran gescheitert sein.

Die Krise des Liberalismus wurde in dieser Ausgabe von ævum schon ausführlich untersucht. Ich möchte mich auf einen Aspekt konzentrieren: den Zukunftsverlust als Erosion des liberalen Fundaments, den auch Staab diagnostiziert. Dem Liberalismus ist die positive Erzählung der Zukunft abhandengekommen; die Visionen und Vorstellungen, die Versprechungen, wie wir die Zukunft gestalten können. Das äußert sich etwa in ewig perpetuierten Narrativen der liberalen Partei oder in ihrer Sprachlosigkeit, die sich auf weit mehr als nur die Klimakrise bezieht.

Insofern fehlt beiden Krisen die entscheidende Lösung: eine Zukunftserzählung, die positive Vision, die Menschen gleichermaßen begeistert und beruhigt. Gegenwärtig spricht man von „climate grief“, von „solastalgia“, von „eco-anxiety“, – zeichnet also negative Zukunftsbilder – oder, wie der französische Politikwissenschaftler und Politiker Jean-Louis Missika wortgewaltig erklärte, von einem grundlegenden Mangel: „The grand narrative of ecology does not exist“. Das ist durchaus zutreffend: Die Liberalen beschränken sich auf Schlagworte wie Technologieoffenheit, Zukunftstechnologien und Emissionshandel, die als Visionen schon aufgrund ihrer technokratischen Kälte nicht taugen. Und spätestens, seitdem diese Ideen von Konservativen und Sozialdemokraten kopiert worden sind, sollte man an der eigenen Erzählung feilen.

Aber: Wer, wenn nicht die Liberalen, wären hier prädestiniert, dieser doppelten Krise etwas entgegenzusetzen?! Liberale sind immer die Vordenkerinnen und Vordenker gewesen, die für jede Herausforderung der Zukunft den notwendigen Optimismus mit ausreichendem Realitätsbezug an den Tag gelegt haben. Insofern möchte ich fast von einer historischen Verpflichtung der Liberalen sprechen, eine positive Zukunft zu skizzieren und entsprechende Narrative zu entwickeln.  

Klimaschutz per se ist keine Bedrohung der Freiheit, sondern ihre notwendige Garantie. Nicht nur die negative Freiheit der jetzt Lebenden, sondern auch die positive Freiheit der Zukünftigen ist zentral; im Mittelpunkt müssen die Möglichkeiten einer autonomen Lebensgestaltung stehen – sowohl aus Perspektive des Liberalismus als auch der Klimakrise. Die Verantwortung für globale Güter wie Klima und Rechtsstaat muss der Staat tragen, darüber hinaus sind zivile und liberale Tugenden wie Verantwortung und Respekt gefordert.

Bedeutsam ist somit die Freiheit zukünftiger Generationen, als Ausdruck von Freiheit und Gerechtigkeit über die Gegenwart hinaus, wie sie auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 verdeutlicht wird. Die dort vertretenen Ansichten sind letztendlich klassisch liberal: Zum einen schützt Liberalismus Eigentum und Rechte des Einzelnen. Zum anderen stellt die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen – jetzt, aber auch mit Blick auf die Zukunft – eine massive Enteignung zukünftiger Generationen von ihren Räumen der Freiheit dar. Diese sensible Abwägung gelingt dem Urteil. Noch dazu wächst mit dem zunehmenden (belastbaren!) Wissen über die mittel- und langfristigen Folgen des Klimawandels auch die Verantwortung und Fürsorgepflicht. Insofern ist es ein liberaler Auftrag an den Staat, diese Freiheit nachhaltig zu schützen und entschieden zu verteidigen.

Jedoch muss Klimaschutz nicht zwangsläufig (nur) staatlicher Dirigismus bedeuten. Mit ihrem Verständnis von Klima als Gemeingut oder als Allmende – damit jenseits von Staat und Markt – bietet Elinor Ostrom einen Anknüpfungspunkt dafür, Klimaschutz als Gemeinwohl und dieses Gemeinwohl als eine fundamentale liberale Pflicht zu verstehen: den antiken Gedanken, dass es in einer verfassten Gesellschaft allen Teilen einigermaßen gleich gut gehen soll. Individuelle Freiheit beinhaltet Verantwortung für ihre nachhaltige Nutzung, Freiheit ist ohne gegenseitige Verantwortung wenig wert. Ostroms Herangehensweise dient als entscheidende Ergänzung zur staatlichen Verantwortung.

Im Sinne eines Abundance Liberalism könnte man auf einen handlungsfähigen Staat setzen, der ermöglicht, der Knappheit durch Erfindungen überwindet, technischen Fortschritt und die Forschung zur Antwort auf den Klimawandel unterstützt und dies mit einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik befördert. Dieser Top-down-Ansatz lässt sich komplementär durch Ostroms Bottom-up-Perspektive erweitern: Indem der Fokus auf die menschliche Lernfähigkeit und die bewusste Übernahme von Verantwortung gelegt wird, kann der komplexen Herausforderung des Klimawandels polyzentrisch begegnet werden.

Es bedarf also dringend neuer Zukunftsvisionen – sowohl für den Liberalismus als auch für den Klimaschutz. Das Fundament dieser Neuausrichtung bildet ein kultureller Wandel hin zu einem erneuten Bekenntnis zu Freiheit, Verantwortung, Optimismus und dem Respekt vor Mensch und Natur.

Auf dieser Basis können Liberale eine wirkmächtige Gegenerzählung zu den vorherrschenden Narrativen von Angst, Verlust, Degrowth oder der Tragik der Allmende formulieren. Die Lösung der Klimakrise durch die Entwicklung eines solchen Zukunftsnarrativs avanciert damit zur zentralen Aufgabe des zeitgenössischen Liberalismus. Gelingt es uns, Freiheit und Ökologie in einer neuen Erzählung zu versöhnen, retten wir nicht nur das Klima, sondern geben dem Liberalismus eine Zukunft.

Leonie de Weerth ist Doktorandin am Lehrstuhl für Politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Daneben arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für ökonomische Bildung an der Universität Siegen. Sie hat Staats- und Politikwissenschaften in Passau, Istanbul und München studiert.