ævum
Warum wir es gründen und wieso wir es brauchen.
Das Zeitalter des Liberalismus sei vorbei, tönt es von rechts, von links, und sogar schon aus der Mitte. Von geopolitischen Verschiebungen, technologischen Transformationen und enttäuschten Hoffnungen ist die Rede, wenn der Abgesang der alten Ordnung wahlweise bejubelt oder bedauert wird. Der Liberalismus gleiche, so seine Kritiker, den Prunkbauten der Karl-Marx-Allee mit ihrer überkommenen Ästhetik, enttäuschten Versprechen und verlorenen Wirkkraft. Welche Ordnung auf den Liberalismus folgen solle, sei noch nicht absehbar, aber der Untergang lasse sich nicht mehr aufhalten. Die Geschichte habe sich gegen den Liberalismus gewendet.
Wahr ist:
Ja, der Liberalismus ist ideenlos. Er ist unfähig, das eigene Unbehagen in Worte zu fassen. Selbst die größten Vorreiter des Liberalismus spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist, dass sich etwas schon länger in die falsche Richtung bewegt. Aber was dieses Etwas ist oder anders, was der Grund dieses Etwas ist, bleibt unklar und ungreifbar. Der Liberale, der eigentlich doch nie um eine intellektuelle Erklärung verlegen ist, ist plötzlich sprachlos beim Versuch, die eigene Krise strukturell zu analysieren. Zunehmend scheint es so, als seien unsere Begriffe zur Beschreibung der Gegenwart aus der Zeit gefallen. Das eigene Vokabular erschöpft, das Narrativ angeschlagen, und man selbst in seiner liberalen Identität auf dem Rückzug in die letzten verbleibenden Wohlfühloasen: die Texte der Grand Seigneurs der letzten Jahrhunderte.
Mit einer Wagenburgmentalität auf der einen Seite und dem Tanzen nach der postliberalen Pfeife auf der anderen Seite sind auch die internen Deutungskämpfe um den Liberalismus neu entfacht. Für den einen ist die Antwort auf die Krise des Liberalismus noch mehr – am besten purer oder echter – Liberalismus. Andere Liberale setzen darauf, sich dem Zeitgeist realpolitisch anzupassen, um mit kleinen (wahl-)programmatischen Opfern ihre Weltanschauung noch irgendwie zu retten.
Was viele liberale Krisenanalysen und Lösungsvorschläge eint, ist die Weigerung, den Rahmen der eigene Krise zu verlassen. Doch gerade in dem Moment, wo Liberalismus und Postliberalismus, Liberalismus und Populismus, Liberalismus und Autoritarismus stärker denn je aufeinandertreffen – politisch, weltanschaulich, gesellschaftlich – ist es ein tragischer Fehler, den Kopf in den Sand zu stecken, und die Weltgeschichte an einem vorbeiziehen zu lassen. Die vermeintliche Ewigkeit des Liberalismus ist lange nicht mehr vollständig, das Zeitalter des ævum ist angebrochen. ævum ist ein Projekt, den Liberalismus nicht fatalistisch spirituell als ewig zu begreifen; sondern seine Maximen neu erarbeitend sich ewig verändernd im jeweiligen Zeitgeist zu verankern.
In diesem Magazin soll es deshalb darum gehen, den Augenblick der Krise zu realisieren. Um diesen Zeitpunkt als Chance zu begreifen, müssen wir die Reform des Liberalismus als unsere Aufgabe verstehen: als eine stetige Reorientierung, die nicht abgeschlossen sein kann. An die Stelle längst wiedergekäuter Ideen wollen wir neue setzen – oder es zumindest versuchen. Wir wollen ævum zu einem Ort machen, an dem die interessantesten liberalen Stimmen der Gegenwart hörbar werden und der noch taub-stumme deutsche Liberalismus wieder zu hören und zu sprechen beginnt. Zu vier Themen im Jahr mit wöchentlichen neuen Artikeln.
Wir denken, dass Liberale in den letzten Jahrzehnten zu selten schreibend nachgedacht haben und damit selbst eine Verantwortung für die ideologische Leere und Selbstblockade des Liberalismus tragen. Statt diese Krise nur zu beklagen, wollen wir sie als Möglichkeit nutzen, die eigene Ideologie radikal zu durchdenken, konzeptionelle Lücken aufzudecken und schonungslose Selbstkritik zu üben. Liberale betonen stets, dass gesellschaftliche Konflikte essentiell für die Freiheit sind – dieser Anspruch sollte auch – oder gerade – für den Liberalismus selbst gelten.
Gleichzeitig nehmen wir jene Kräfte ernst, die aus der Krise des Liberalismus Kapital schlagen: jene, die Autorität über Freiheit stellen, Identität über Autonomie, Ordnung über Pluralität. Wir dürfen diese Bewegungen nicht nur als Bedrohung, sondern müssen sie auch als Symptom lesen: als Ausdruck eines Vakuums, das der Liberalismus in seiner Ideenlosigkeit hinterlassen hat. Denn die postliberale Revolte, die Neuentdeckung religiöser Sehnsucht, die nationalistische Regression oder die identitäre Überladung der Gegenwart leben doch genau von dieser liberalen intellektuellen Erschöpfung.
Dieses Magazin will Partei ergreifen für einen Liberalismus, der lebt, weil er sich wandelt – und der nur Bestand hat, wenn er sich immer wieder neu begründet. Der richtige Zeitpunkt, diesen Anspruch einzulösen, ist genau jetzt gekommen. Nur dann kann der Liberalismus weiter bestehen, im ævum zwischen Zeitgeist und Ewigkeit.
schreibend nachdenken:
Sven Gerst, Nikolai Ott, Alexander Schwitteck, Marius Drozdzewski